CLAN-VERSAMMLUNG

Die Zwerge, die vor Oriks Gemächern Wache standen, stießen die Doppeltüren auf, als Eragon näher kam. In dem langen, prachtvoll geschmückten Vorraum standen drei runde, rot gepolsterte Sessel in einer Reihe in der Mitte des Raumes. Gobelins schmückten neben den obligatorischen flammenlosen Laternen die Wände, und die Decke zierte ein Relief, das eine berühmte Schlacht in der Geschichte der Zwerge zeigte.
Orik beriet sich gerade mit einer Schar Krieger und einigen graubärtigen Zwergen des Dûrgrimst Ingietum. Als Eragon eintrat, drehte er sich um. Seine Miene war grimmig. »Gut, dass du dich beeilt hast! Hûndfast, du darfst dich zurückziehen. Eragon und ich müssen uns unter vier Augen unterhalten.«
Der Dolmetscher verbeugte sich und verschwand links durch einen Torbogen, seine Schritte hallten auf dem glänzenden Achatboden. »Vertraust du ihm nicht?«, erkundigte sich Eragon, sobald der Zwerg außer Hörweite war.
Orik zuckte mit den Schultern. »Zurzeit weiß ich nicht, wem ich vertrauen kann. Je weniger Leute wissen, was wir herausgefunden haben, desto besser. Wir können nicht riskieren, dass diese Informationen vor morgen früh zu einem anderen Clan durchsickern. Es würde mit Sicherheit einen Clan-Krieg heraufbeschwören.«
Die Zwerge hinter ihm murmelten erschreckt.
»Was hast du herausgefunden?«, fragte Eragon besorgt.
Die Krieger hinter Orik traten auf seinen Wink beiseite und gaben den Blick auf drei gefesselte und blutüberströmte Zwerge frei, die in einer Ecke übereinanderlagen. Der unterste der drei stöhnte und zappelte mit den Beinen, konnte sich jedoch nicht unter den anderen Gefangenen hervorwinden.
»Wer sind die?«
»Ich habe mehrere unserer Schmiede die Dolche der Angreifer untersuchen lassen«, erwiderte Orik. »Sie haben die Handwerkskunst von Kiefna Langnase wiedererkannt, eines Schwertschmiedes unseres Clans, der bei unserem Volk großes Ansehen genießt.«
»Also kann er uns sagen, wer die Dolche gekauft hat, und somit auch, wer unsere Feinde sind?«
Orik lachte kurz. »Das wohl kaum, aber wir konnten den Weg der Dolche von Kiefna zu einem Waffenhändler in Dalgon nachvollziehen, viele Meilen von hier entfernt, der sie an eine Knurlaf verkaufte...«
»Eine Knurlaf?«
Orik runzelte die Stirn. »Eine Frau. Eine Frau mit sieben Fingern an jeder Hand hat diese Dolche vor zwei Monaten gekauft.«
»Und, habt ihr sie gefunden? Es kann ja nicht allzu viele Frauen mit dieser Anzahl von Fingern geben.«
»Eigentlich kommt das in unserem Volk recht häufig vor«, widersprach Orik. »Wie auch immer, es gelang uns unter erheblichem Aufwand, die Frau in Dalgon aufzuspüren. Meine Leute dort haben sie sehr gründlich verhört. Sie gehört zum Dûrgrimst Nagra, aber soweit wir wissen, hat sie aus eigenem Antrieb gehandelt, nicht auf Befehl ihrer Clan-Führer. Von ihr haben wir erfahren, dass ein Zwerg sie beauftragt hat, diese Dolche zu kaufen und sie anschließend einem Weinhändler zu übergeben, der sie aus Dalgon schaffen sollte. Ihr Auftraggeber hat ihr nicht gesagt, für wen die Dolche bestimmt waren, aber wir haben uns unter den Händlern der Stadt umgehört und fanden heraus, dass der Weinhändler von Dalgon auf direktem Weg in eine Stadt reiste, die zum Herrschaftsgebiet des Dûrgrimst Az Sweldn rak Anhûin gehört.«
»Also waren es tatsächlich sie!«, rief Eragon.
»Oder jemand will, dass wir das glauben. Wir brauchten mehr Beweise, um den Az Sweldn rak Anhûin die Tat nachweisen zu können.« Oriks Augen funkelten und er hob einen Finger. »Also haben wir durch einen sehr, sehr gerissenen Zauberspruch den Weg der Attentäter durch die Tunnel und Höhlen bis zu einem verlassenen Lager im zwölften Stockwerk von Tronjheim zurückverfolgt. Es liegt direkt neben der Behelfshalle der südlichen Speiche des westlichen Viertels, neben der... ach was, das spielt keine Rolle. Aber irgendwann muss ich dir erklären, wie die Hallen und Tunnel in Tronjheim angelegt sind, damit du dich im Notfall allein in der Stadt zurechtfindest. Jedenfalls führte uns die Spur zu einem verstaubten Lagerraum, wo diese drei«, er deutete auf die gefesselten Zwerge, »sich verbargen. Sie haben uns nicht erwartet, deshalb konnten wir sie lebend gefangen nehmen, obwohl sie versucht haben, sich umzubringen. Es war nicht leicht, aber es gelang uns, den Geist von zweien zu brechen. Wir haben aus ihnen alles herausbekommen, was sie über diese Angelegenheit wussten. Den dritten werden die Grimstborithn nach eigenem Gutdünken verhören.« Orik deutete wieder auf die Gefangenen. »Sie haben die Meuchelmörder für ihren Hinterhalt mit den Dolchen und der schwarzen Kleidung ausgestattet und ihnen in der Nacht zuvor Obdach gewährt und zu essen gegeben.«
»Wer sind sie?«, wollte Eragon wissen.
»Pah!« Orik spie aus. »Sie sind Vargrimstn, Krieger, die ihre Ehre verloren haben und von ihren Clans verstoßen wurden. Niemand gibt sich mit solchem Abschaum ab, es sei denn, er führt Böses im Schilde und wünscht nicht, dass andere davon erfahren. So war es auch bei den dreien. Sie haben ihre Befehle direkt von Grimstborith Vermûnd vom Clan der Az Sweldn rak Anhûin bekommen.«
»Daran besteht kein Zweifel?«
Orik schüttelte den Kopf. »Kein Zweifel. Die Az Sweldn rak Anhûin wollten dich ermorden, Eragon. Wir werden vermutlich nie erfahren, ob noch andere Clans an dem Anschlag beteiligt waren, aber sollten wir Vermûnd und seinem Clan die Tat nachweisen können, wird das alle anderen am Komplott Beteiligten zwingen, sich von ihren ehemaligen Verbündeten loszusagen, von weiteren Angriffen auf den Dûrgrimst Ingietum zunächst abzusehen, und wenn ich mich geschickt anstelle, mir ihre Stimme für die Wahl zum König zu geben.«
Ein Bild blitzte in Eragons Geist auf, ein schillerndes Messer, das durch Kvîstors Hals fuhr, und die schmerzverzerrte Miene des Zwerges, als er sterbend zu Boden sank. »Wie werden wir die Az Sweldn rak Anhûin für dieses Verbrechen bestrafen? Sollen wir Vermûnd töten?«
»Ah«, Orik tippte sich gegen die Nase, »das überlass mir. Ich habe einen Plan. Aber wir müssen sehr vorsichtig vorgehen, denn die Lage ist äußerst heikel. Ein solcher Verrat ist schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr vorgekommen. Als Außenstehender kannst du nicht verstehen, wie verabscheuenswürdig es für uns ist, wenn einer der unsrigen einen Gast in unseren Hallen angreift. Dass du der einzige lebende Drachenreiter bist, der sich Galbatorix entgegenstellen kann, macht dieses Vergehen nur noch schlimmer. Möglicherweise ist weiteres Blutvergießen nicht zu vermeiden, aber im Moment würde es nur einen Clan-Krieg heraufbeschwören.«
»Vielleicht ist ein Clan-Krieg ja die einzige Möglichkeit, wie wir mit den Az Sweldn rak Anhûin fertig werden können«, meinte Eragon.
»Das glaube ich nicht. Sollte ich mich jedoch irren und ein Krieg tatsächlich unausweichlich sein, müssen wir dafür sorgen, dass sich alle Clans gegen die Az Sweldn rak Anhûin zusammenschließen. Das wäre nicht so schlimm. Vereint könnten wir sie in einer Woche zerschmettern. Ein Krieg jedoch, der die Clans in zwei oder drei Lager spaltet, könnte das Ende unseres Volkes bedeuten. Deshalb ist es außerordentlich wichtig, dass wir die anderen Clans von der Schuld des Dûrgrimst Az Sweldn rak Anhûin überzeugen, bevor wir zu den Waffen greifen. Wirst du den Magiern der einzelnen Clans zu diesem Zweck erlauben, deine Erinnerungen an den Überfall zu untersuchen, damit sie sehen, dass es genauso war, wie wir sagen, und wir das Ganze nicht nur vorgetäuscht haben, um daraus unseren Vorteil zu ziehen?«
Eragon zögerte - er öffnete Fremden seinen Geist nur widerwillig - und deutete mit dem Kopf zu den gefesselten Zwergen hinüber. »Was ist mit ihnen? Genügen ihre Erinnerungen nicht als Beweis?«
Orik schnitt eine Grimasse. »Das sollten sie eigentlich, aber die Clan-Oberhäupter werden darauf bestehen, ihre Erinnerungen mit deinen abzugleichen, weil sie gründlich vorgehen wollen. Solltest du dich weigern, werden die Az Sweldn rak Anhûin behaupten, dass wir der Clan-Versammlung etwas verheimlichen und unsere Anschuldigungen nur verleumderische Hirngespinste sind.«
»Also gut«, gab Eragon nach. »Wenn es sein muss. Aber sollte sich einer der Magier, und sei es auch nur aus Versehen, irgendwohin verirren, wo er nichts zu suchen hat, habe ich keine andere Wahl, als alles, was er gesehen hat, aus seinem Gedächtnis zu löschen. Es gibt einige Dinge, die auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen dürfen.«
Orik nickte. »Ja, ich denke da ganz besonders an eine dreibeinige Kunde, die uns ganz schön zu schaffen machen würde, wenn man sie im ganzen Land herumposaunte, was? Ich bin sicher, dass die Clan-Oberhäupter deine Bedingungen akzeptieren. Sie alle hüten Geheimnisse, die sie nicht herumerzählt haben wollen. Trotzdem werden sie ihren Magiern befehlen, deinen Geist zu untersuchen, wie gefährlich es auch sein mag. Dieser Vorfall könnte zu Unruhen in unserem Volk führen. Die Grimstborithn werden sich genötigt sehen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, selbst wenn es sie ihre besten Zauberer kostet.«
Orik richtete sich zu seiner ganzen geringen Größe auf und befahl, die Gefangenen wegzuschaffen. Dann schickte er alle bis auf Eragon und sechsundzwanzig seiner besten Krieger hinaus. Mit einer schwungvollen Bewegung ergriff Orik ihn am Ellbogen und führte Eragon in die inneren Räume seiner Gemächer. »Du musst heute bei mir bleiben. Die Az Sweldn rak Anhûin würden es niemals wagen, dich hier anzugreifen.«
»Falls du vorhast zu schlafen«, sagte Eragon, »muss ich dich warnen. Ich werde heute Nacht keine Ruhe finden. Mein Blut kocht immer noch von dem Kampf und meine Gedanken sind genauso aufgewühlt.«
»Schlafe oder wache«, erwiderte Orik, »meinen Schlummer wirst du nicht stören, denn ich werde mir eine dicke Wollmütze über Augen und Ohren ziehen. Ich würde dir allerdings dringend raten, ebenfalls zu ruhen und deine Kräfte zu sammeln, vielleicht mithilfe der Techniken, die die Elfen dich gelehrt haben. Der Morgen dämmert bald, und uns bleiben nur noch ein paar Stunden, bis die Clan-Versammlung tagt. Wir sollten so frisch wie möglich sein für das, was auf uns zukommt. Was wir heute tun und sagen, wird über das Schicksal meines Volkes entscheiden, meines Landes und das von ganz Alagaësia. Ah, und schau nicht so grimmig! Du solltest es lieber so sehen: Man wird sich bis ans Ende der Zeiten daran erinnern, wie wir uns auf dieser Clan-Versammlung geschlagen haben, egal ob wir nun erfolgreich sein werden oder scheitern, und ich hoffe natürlich, dass wir siegen. Das sollte dich mit Stolz erfüllen! Die Götter sind launisch und Unsterblichkeit können wir einzig durch unsere Taten erlangen. Doch ob Ruhm oder Schande, beides ist besser, als vergessen zu werden, wenn du diese Gefilde verlässt.«
 
In den frühen Morgenstunden, als Eragon sich in den gepolsterten Armen eines viel zu kleinen Liegesofas hin und her wälzte, wanderten seine Gedanken ziellos umher und verloren sich in den zerstreuten Fantasien seiner Wachträume. Obwohl er das bunte Mosaik auf der gegenüberliegenden Wand wahrnahm, zogen darüber wie auf einem schimmernden Leintuch Szenen aus seinem Leben im Palancar-Tal vorbei. Sein Leben, wie es gewesen war, bevor ein launisches und blutiges Schicksal alles verändert hatte. Allerdings unterschieden sich diese Bilder von den Tatsachen und ließen ihn in Situationen eintauchen, die sich aus Fragmenten wirklicher Ereignisse zusammensetzten. In den letzten Momenten, bevor er sich aus seiner Benommenheit riss, flackerte es vor seinen Augen und die Bilder wirkten fast wie eine gesteigerte Realität.
Er war in Horsts Werkstatt, die Türen standen offen und hingen schief in den Angeln wie der schlaffe Kiefer eines Idioten. Es war eine sternenlose Nacht, und die alles verschlingende Dunkelheit drängte gegen den Lichtschein der roten Glut der Kohlen, als wollte sie alles verzehren, was sich in ihrem rötlichen Kreis befand. Neben der Esse stand wie ein Gigant Horst. Die flackernden Schatten verliehen seinem Gesicht etwas Unheimliches. Er schwang den kräftigen Arm auf und ab, und der glockenartige Klang, mit dem der Hammer auf ein gelb glühendes Stück Eisen herabsauste, ließ die Luft erzittern. Funken stoben in die Luft und erloschen auf dem Boden. Noch viermal hämmerte der Schmied das Metall glatt, dann hob er die Stange vom Amboss und warf sie in einen Trog mit Öl. Gespenstische, bläulich-durchscheinende Flammen leckten über die Oberfläche, bevor sie mit einem wütenden Fauchen verschwanden. Horst nahm die Stange aus dem Trog und sah Eragon finster an. »Was willst du hier, Eragon?«
»Ich brauche ein Schwert für einen Drachenreiter.«
»Verschwinde! Ich habe keine Zeit, dir eine solche Waffe zu schmieden. Siehst du nicht, dass ich an einem Topfhaken für Elain arbeite? Sie braucht ihn für die Schlacht. Bist du allein?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wo sind dein Vater und deine Mutter?«
»Das weiß ich nicht.«
Eine andere Stimme ertönte, kräftig, machtvoll. »Guter Schmied«, erklärte sie, »er ist nicht allein. Er ist mit mir gekommen.«
»Und wer bist du?«, wollte Horst wissen.
»Ich bin sein Vater.«
Aus der Dunkelheit zwischen den klaffenden Türflügeln erschien eine hünenhafte, von fahlem Licht umrahmte Gestalt und trat auf die Schwelle der Schmiede. Ein roter Umhang bauschte sich über Schultern, die ausladender waren als die eines Kull. In der linken Hand des Mannes schimmerte Zar’roc, scharf wie der Schmerz. Durch die Schlitze des glänzenden Helms bohrte sich der Blick der blauen Augen in Eragon wie ein Pfeil in einen Hasen. Der Mann streckte Eragon die leere Rechte entgegen. »Mein Sohn, komm mit mir. Zusammen können wir die Varden vernichten, Galbatorix töten und ganz Alagaësia erobern. Gib mir dein Herz, dann sind wir unbesiegbar.
Gib mir dein Herz, mein Sohn.«
Mit einem erstickten Schrei sprang Eragon von dem Sofa hoch und starrte auf den Boden. Er ballte die Fäuste, die Brust hob und senkte sich unter seinen keuchenden Atemzügen. Oriks Wachen warfen ihm fragende Blicke zu, aber er war zu aufgelöst, um seinen Ausbruch zu erklären.
Es war noch früh, deshalb machte er es sich nach einer Weile wieder auf dem Sofa bequem, vermied es jedoch aus Furcht vor den Erscheinungen, die ihn dort quälen könnten, erneut ins Reich der Träume zu versinken.
 
Eragon lehnte an der Wand, die Hand auf dem Knauf seines Zwergenschwertes, und sah zu, wie die Clan-Oberhäupter allmählich in dem kreisrunden Sitzungsraum tief unter Tronjheim eintrafen. Vor allem Vermûnd, Grimstborith der Az Sweldn rak Anhûin, beobachtete er scharf. Doch falls der verschleierte Zwerg überrascht war, Eragon gesund und munter anzutreffen, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.
Eragon spürte, wie Orik ihn mit dem Stiefel anstieß. Ohne den Blick von Vermûnd zu nehmen, beugte er sich zu Orik hinunter. »Denk dran, links und dann der dritte Durchgang«, flüsterte der Zwerg. Dort hatte Orik ohne Wissen der Clan-Oberhäupter hundert seiner Krieger stationiert.
»Wenn schon Blut vergossen wird«, erwiderte Eragon ebenfalls flüsternd, »sollte ich die Gelegenheit beim Schopfe packen und diese heimtückische Schlange Vermûnd töten.«
»Tu das bitte nicht, es sei denn, er versucht, dich oder mich zu töten.« Orik lachte leise. »Du würdest dich bei den Grimstborithn nicht gerade beliebt machen... Ah, ich muss gehen. Bete zu Sindri, dass sie uns gewogen ist, ja? Wir sind dabei, ein glühendes Lavafeld zu betreten, das noch keiner vor uns zu beschreiten wagte.«
Eragon betete.
Als die Clan-Oberhäupter ihre Plätze am Tisch in der Mitte der Kammer eingenommen hatten, setzten sich auch die Zuschauer einschließlich Eragon auf die Stühle, die an der Wand aufgestellt waren. Doch anders als viele der Zwerge ließ er sich nicht entspannt zurücksinken, sondern hockte sich auf die Stuhlkante, bereit, beim kleinsten Anzeichen von Gefahr zu kämpfen.
Als Gannel, der schwarzäugige Kriegerpriester des Dûrgrimst Quan, sich erhob und anfing zu sprechen, trat Hûndfast neben Eragon und dolmetschte. »Seid gegrüßt, werte Clan-Oberhäupter. Ob dies ein glückliches Zusammentreffen ist oder nicht, muss sich erst noch herausstellen, denn mir sind beunruhigende Gerüchte zu Ohren gekommen. Gerüchte über Gerüchte, genauer gesagt. Es ist nur vages und verstörendes Geraune, mehr nicht, und mir liegen auch keinerlei Beweise für ein Vergehen vor. Da ich jedoch heute den Vorsitz über diese Versammlung habe, schlage ich vor, unsere wichtigen Debatten einstweilen ruhen zu lassen, damit ich, mit eurer Erlaubnis, den hier Anwesenden einige Fragen stellen kann.«
Die Clan-Oberhäupter tuschelten untereinander, bis schließlich Íorûnn, die kluge Grimstborith, mit einem Lächeln das Wort ergriff: »Ich habe keine Einwände, Grimstborith Gannel. Du hast mit deinen geheimnisvollen Andeutungen nur meine Neugier geweckt. Lass uns deine Fragen hören.«
»Ja, lass uns hören«, meinte Nado.
»Sprich sie aus«, stimmte auch Manndrâth und nach ihm der Rest der Clan-Oberhäupter zu, Vermûnd eingeschlossen.
Nachdem er die gewünschte Erlaubnis erhalten hatte, stützte Gannel sich mit den Knöcheln am Tisch ab und schwieg einen Moment, bis er sich der Aufmerksamkeit aller im Raum sicher war. »Gestern«, sagte er dann, »während wir zu Mittag gegessen haben, hörten Knurlan in den Tunneln unter dem südlichen Viertel von Tronjheim Lärm. Die Berichte darüber, wie laut es war, gehen auseinander, aber es kann kein unbedeutender Zwischenfall gewesen sein, da so viele den Lärm an vielen verschiedenen Stellen Tronjheims gehört haben. Wie ihr habe ich die üblichen Warnungen vor einem möglichen Tunneleinbruch erhalten. Ihr wisst aber wahrscheinlich noch nicht, dass vor nur zwei Stunden...«
Hûndfast zögerte und flüsterte dann hastig: »Das Wort ist schwer in Eurer Sprache wiederzugeben. Am besten trifft es wohl Tunnelläufer.« Dann dolmetschte er weiter.
»...Tunnelläufer Spuren eines erbitterten Kampfes in einem der uralten Tunnel entdeckten, den unser berühmter Vorfahr, Korgan Langbart, gegraben hat. Der Boden war blutverschmiert, die Wände voller Ruß durch eine Laterne, die die Klinge eines achtlosen Kriegers zerschlagen hat. Das Gestein weist Risse auf und am Ort des Geschehens lagen die Körper von sieben verkohlten und verstümmelten Zwergen. Einiges deutet darauf hin, dass weitere Leichen weggeschafft wurden. Dies waren keineswegs die Überreste eines bislang unbekannten Scharmützels bei der Schlacht um Farthen Dûr. Nein! Denn das Blut war noch nicht getrocknet, der Ruß weich, die Risse waren neu, und wie man mir sagte, lag über dem Tatort noch die Aura mächtiger Magie. In diesem Moment versuchen gerade einige unserer fähigsten Zauberer, die Bilder von dem, was dort geschehen ist, heraufzubeschwören. Allerdings hegen sie wenig Hoffnung auf Erfolg, weil die Beteiligten von einem Gespinst teuflischer Hexerei umgeben waren. Also lautet meine erste Frage an die Versammlung wie folgt: Weiß irgendeiner von euch mehr über diesen mysteriösen Vorfall?«
Als Gannel zu Ende gesprochen hatte, spannte Eragon seine Muskeln an, bereit, sofort aufzuspringen, sollten die verschleierten Az Sweldn rak Anhûin zu ihren Waffen greifen.
Orik räusperte sich. »Ich glaube«, sagte er, »dass ich deine Neugier in einigen Punkten befriedigen kann, Gannel. Aber da meine Antwort notwendigerweise ausführlicher ausfallen wird, schlage ich vor, du stellst deine anderen Fragen, bevor ich beginne.«
Gannels Miene verfinsterte sich. Er klopfte mit den Knöcheln auf den Tisch. »Also gut«, meinte er. »Mir liegen Berichte vor, wonach zahlreiche Knurlan Tronjheim durchstreifen und sich an verschiedenen Stellen und in aller Heimlichkeit zu größeren bewaffneten Einheiten zusammenschließen. Zweifelsohne besteht hier eine Verbindung zu dem Kampf in Korgans Tunnel. Meine Agenten konnten nicht feststellen, zu welchem Clan diese Krieger gehören, aber dass einer von uns still und leise seine Streitkräfte sammelt, während wir dabei sind, den Nachfolger von König Hrothgar zu bestimmen, lässt die finstersten Absichten vermuten. Also lautet meine zweite Frage an diese Versammlung wie folgt: Wer ist dafür verantwortlich? Wenn keiner der hier Anwesenden bereit ist, seine Schuld zuzugeben, dann rege ich mit allem Nachdruck an, alle Krieger, ungeachtet ihrer Clan-Zugehörigkeit, für die Dauer der Beratungen aus Tronjheim zu verbannen und sofort einen Wächter des Rechts zu berufen, der diese Vorfälle untersucht und uns den Verantwortlichen nennt.«
Gannels Worte lösten eine hitzige Diskussion unter den Clan-Oberhäuptern aus, bei der die Vorwürfe, Unschuldsbeteuerungen und Gegenanschuldigungen immer lauter hin und her flogen. Als eine wutentbrannte Thordris einen zornesroten Gáldhiem anschrie, räusperte Orik sich erneut, woraufhin alle verstummten und ihn anstarrten.
»Auch das, so glaube ich, kann ich erklären, Gannel«, sagte Orik in besänftigendem Tonfall, »jedenfalls teilweise. Ich weiß zwar nichts über die Aktivitäten der anderen Clans, aber einige Hundert Krieger, die durch die Dienstbotenhallen in Tronjheim geschlichen sind, gehören zum Dûrgrimst Ingietum. Das gebe ich offen zu.«
Es herrschte tiefstes Schweigen, das Íorûnn schließlich brach: »Und welche Erklärung bietest du uns für dieses kriegerische Verhalten, Orik, Thrifks Sohn?«
»Wie ich schon sagte, beste Íorûnn, meine Antwort muss notwendigerweise recht ausführlich ausfallen. Also wenn du, Gannel, noch andere Fragen hast, solltest du fortfahren.«
Gannel runzelte so heftig die Stirn, dass sich seine Brauen fast berührten. »Ich werde meine anderen Fragen einstweilen für mich behalten, denn sie alle beziehen sich auf jene, die ich der Versammlung bereits gestellt habe. Es scheint, als müssten wir deine Antworten abwarten, um mehr über dieses Thema zu erfahren. Da du allerdings bis zum Hals in dieser zweifelhaften Angelegenheit zu stecken scheinst, ist mir eine neue Frage in den Sinn gekommen, die ich direkt an dich richten will, Grimstborith Orik: Aus welchem Grund hast du die gestrige Clan-Versammlung verlassen? Ich warne dich, ich werde keine Ausflüchte dulden. Du hast bereits angedeutet, Kenntnis von diesen Vorfällen zu besitzen. Nun ist es an der Zeit, uns Rechenschaft abzulegen, Grimstborith Orik.«
Orik stand auf, als sich Gannel setzte. »Es soll mir ein Vergnügen sein«, meinte er.
Er senkte den Kopf, bis sein bärtiges Kinn fast auf der Brust ruhte, schwieg einen kurzen Moment, dann begann er, mit sonorer Stimme zu sprechen. Aber er eröffnete seine Rede nicht so, wie Eragon und wohl auch der Rest der Versammlung es erwartet hatten. Statt den Mordanschlag auf Eragon zu schildern und damit zu erklären, warum er das gestrige Treffen vorzeitig aufgelöst hatte, holte Orik weit aus, bis in die graue Frühzeit der Zwergengeschichte. Er erzählte, wie das Volk der Zwerge von den einst so fruchtbaren Feldern der Hadarac-Wüste ins Beor-Gebirge abgewandert war, wo es unzählige Meilen von Tunneln gegraben und seine großartigen Städte über und unter der Erdoberfläche errichtet hatte. Dabei waren die Zwerge nie müde geworden, untereinander Kriege zu führen, genau wie gegen die Drachen, die sie Tausende von Jahren mit einer Mischung aus Hass, Furcht und widerwilliger Ehrfurcht betrachtet hatten.
Dann sprach Orik von der Ankunft der Elfen in Alagaësia, wie sie gegen die Drachen kämpften, bis sie sich gegenseitig fast ausgelöscht hatten, und die beiden Völker daher schließlich übereinkamen, die Drachenreiter zu schaffen, um mit ihnen den Frieden bis in alle Ewigkeit zu wahren.
»Und wie haben wir reagiert, als wir von ihren Absichten erfuhren?« Oriks Stimme hallte laut durch den kreisrunden Saal. »Haben wir darum gebeten, ihrem Pakt beitreten zu dürfen? Strebten wir danach, Anteil zu haben an der Macht, die den Drachenreitern verliehen wurde? Mitnichten! Wir klammerten uns an unsere alten Sitten, an unseren alten Hass, und wiesen den bloßen Gedanken an ein Bündnis mit den Drachen weit von uns, wie wir auch keinem Außenstehenden erlauben wollten, uns zu überwachen. Um unsere Selbstbestimmung zu wahren, opferten wir unsere Zukunft, denn ich bin überzeugt, dass Galbatorix niemals an die Macht gekommen wäre, hätte es Knurlan unter den Drachenreitern gegeben. In diesem Punkt mag ich mich irren, und ich will Eragons Verdienste auch nicht schmälern, der ein ausgezeichneter Reiter ist. Trotzdem hätte Saphira auch für einen von unserem Volk schlüpfen können, nicht nur für einen Menschen. Und welcher Ruhm hätte dann unser sein können?
Stattdessen hat unser Einfluss in Alagaësia ständig abgenommen, seit Königin Tarmunora und Eragons Namensvetter Frieden mit den Drachen geschlossen haben. Unser geringerer Status machte uns zunächst nicht so viel aus, und oft war es einfacher, die Lage der Dinge einfach zu leugnen, statt sie hinzunehmen. Dann jedoch kamen die Urgals, nach ihnen die Menschen, und die Elfen veränderten ihre Zauber so, dass auch Menschen Drachenreiter werden konnten. Und haben wir da versucht, in ihrem Bund aufgenommen zu werden, was durchaus möglich gewesen wäre... was uns rechtmäßig auch zugestanden hätte?« Orik schüttelte den Kopf. »Unser Stolz ließ es nicht zu. Warum sollten wir, das älteste Volk in diesem Land, die Elfen um ihre Magie anbetteln? Wir brauchten unser Schicksal nicht wie die Elfen und Menschen an das der Drachen zu ketten, um uns vor der Vernichtung zu retten. Natürlich ignorierten wir auch die Kämpfe, die unter uns tobten. Sie seien, so argumentierten wir, unsere Privatangelegenheit und gingen niemanden etwas an.«
Die Clan-Oberhäupter wurden unruhig. Auf einigen Gesichtern zeichneten sich Unzufriedenheit und Empörung ab, aber der Rest schien empfänglicher für seine kritischen Worte zu sein und lauschte ihnen nachdenklich.
»Während die Drachenreiter Alagaësia bewachten«, fuhr der Grimstborith fort, »erlebten wir die größte Blütezeit in den Annalen unseres Reiches. Uns ging es so gut wie nie zuvor, obwohl das nicht unser Verdienst war, sondern der der Drachenreiter. Als sie untergingen, schwand auch unser Wohlstand, und wieder hatten wir nichts damit zu tun, sondern die Reiter. Beides scheint mir einem Volk von unserem Rang nicht angemessen. Wir sind weder Vasallen, die wehrlos der Willkür fremder Herren ausgeliefert sind, noch sollte jemand, der kein Nachfahr von Odgar und Hlordis ist, unser Schicksal bestimmen.«
Das war eher nach dem Geschmack der Clan-Oberhäupter, die nickten und lächelten. Selbst Havard klatschte nach dem letzten Satz Beifall.
»Betrachtet jetzt die gegenwärtige Epoche«, fuhr Orik fort. »Galbatorix herrscht, und alle Völker ringen darum, ihm nicht unterworfen zu werden. Er ist so mächtig geworden, dass wir nur deshalb noch nicht seine Sklaven sind, weil er bis jetzt nicht mit seinem schwarzen Drachen losgeflogen ist, um uns direkt anzugreifen. Würde er das tun, wir fielen wie Schösslinge unter einer Lawine. Glücklicherweise scheint er darauf zu warten, dass wir uns den Weg zu den Toren seiner Zitadelle in Urû’baen freikämpfen.
Ich möchte euch an die Zeit erinnern, bevor Eragon und Saphira durchnässt und schmutzig auf unserer Schwelle auftauchten, verfolgt von einem Haufen heulender Kull. Wir hatten damals nur eine Hoffnung im Kampf gegen den Tyrannen, nämlich dass Saphira eines Tages für ihren auserwählten Reiter schlüpfen und dieser Unbekannte - gesetzt den Fall, wir hätten mehr Glück als alle Spieler zusammen, die je beim Würfeln gewonnen haben - Galbatorix stürzen würde. Hoffnung? Was sage ich! Es war nur die Hoffnung auf Hoffnung. Als Eragon auftauchte, waren viele von uns von ihm enttäuscht, mich eingeschlossen. ›Er ist ja nur ein Junge‹, sagten wir, und: ›Saphira hätte besser einen Elf erwählt‹. Aber siehe da! Eragon hat selbst unsere kühnsten Erwartungen übertroffen! Er tötete Durza und ermöglichte uns damit, unsere viel geliebte Stadt Tronjheim zu retten. Sein Drache Saphira hat versprochen, die Sternrose wieder in ihrer alten Pracht erblühen zu lassen. Während der Schlacht auf den Brennenden Steppen hat er Murtagh und Dorn vertrieben und uns damit den Sieg erringen lassen. Und seht! Er sieht aus wie ein Elf und durch ihre fremdartige Magie hat er auch ihre Schnelligkeit und Kraft gewonnen!«
Orik erhob einen Finger, um seine Worte zu unterstreichen. »Dazu kommt, dass König Hrothgar in seiner Weisheit etwas getan hat, was kein anderer König oder Grimstborith vor ihm je wagte. Er hat Eragon angeboten, ihn in den Dûrgrimst Ingietum aufzunehmen und ihn zu einem Mitglied seiner Familie zu machen. Eragon war durch nichts verpflichtet, dieses Angebot anzunehmen. Im Gegenteil, er war sich sehr wohl bewusst, dass viele Familien des Ingietum dies ebenso missbilligten wie zahlreiche andere Knurlan. Trotzdem nahm Eragon Hrothgars Geschenk an, obwohl er bereits Nasuada die Treue gelobt hatte und obwohl er sehr genau wusste, dass es sein Leben erschweren würde. Wie Eragon mir selbst sagte, hat er den Hallenschwur auf das Steinherz geleistet, weil er sich allen Völkern Alagaësias gegenüber verpflichtet fühlt, vor allem unserem, das ihm und Saphira durch Hrothgar so viel Freundlichkeit erwiesen hat. Wir haben es Hrothgars Genialität zu verdanken, dass der letzte freie Drachenreiter von Alagaësia, unsere einzige Hoffnung im Kampf gegen Galbatorix, sich dazu entschieden hat, in allem ein Knurla zu werden außer im Blute. Seitdem hat Eragon sich nach bestem Wissen und Gewissen an unsere Gesetze und Traditionen gehalten und strebte stets danach, noch mehr über unsere Kultur zu erfahren, um seinem Schwur wahrhaftig gerecht zu werden. Als Hrothgar von dem Verräter Murtagh niedergestreckt wurde, hat Eragon mir bei allen Steinen von Alagaësia und als Angehöriger des Dûrgrimst Ingietum geschworen, seinen Tod zu rächen. Er hat mir den Respekt und den Gehorsam erwiesen, der mir als Grimstborith zusteht, und ich bin stolz darauf, ihn meinen Stiefbruder zu nennen.«
Eragon blickte verlegen zu Boden. Seine Wangen und die Spitzen seiner Ohren brannten. Er wünschte sich, Orik wäre nicht so freigiebig mit seinem Lob. Das würde es ihm in Zukunft nur schwerer machen, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen.
Orik breitete die Arme aus. »Alles, was wir uns von einem Drachenreiter nur wünschen konnten«, rief er, »vereint Eragon! Er existiert! Er ist mächtig! Und er achtet unser Volk wie kein anderer Drachenreiter vor ihm!« Dann ließ er die Arme sinken und sprach so leise weiter, dass Eragon seine Worte nur mit Mühe verstand. »Und wie haben wir ihm seine Freundschaft vergolten? Mit Verachtung und boshaftem Gerede. Wir sind ein undankbares Volk, sage ich, und unser gutes Gedächtnis schadet uns nur... Es gibt etliche unter uns, deren gärender Hass so übermächtig geworden ist, dass sie zu Gewalt greifen, um ihren Zorn zu stillen. Vielleicht glauben sie, ihr Handeln wäre das Beste für unser Volk. Falls es so ist, ist ihr Verstand verrottet wie ein mehrere Jahre alter Käse. Denn warum sonst hätten sie versucht, Eragon zu töten?«
Die lauschenden Clan-Oberhäupter erstarrten und ihre Augen fixierten Oriks Gesicht. Sie hingen so gebannt an seinen Lippen, dass selbst der fette Grimstborith Freowin die Schnitzerei an seinem Raben unterbrach und die Hände über seinem Schmerbauch faltete. Er wirkte wie eine der Zwergenstatuen im Thronsaal.
Während die anderen ihn anstarrten, berichtete Orik der Clan-Versammlung, wie sieben schwarz gekleidete Zwerge Eragon und seine Wachen in den weitverzweigten Tunneln unter Tronjheim angegriffen hatten. Dann beschrieb er das Armband aus Rosshaar mit den eingeflochtenen Amethysten, das die Wachen bei einer der Leichen gefunden hatten.
»Glaube ja nicht, du könntest meinem Clan die Verantwortung für diesen Angriff aufgrund eines so dürftigen Beweises in die Schuhe schieben!« Vermûnd sprang auf. »Solchen Tand kann man auf fast jedem Markt in unserem Reich kaufen!«
»Ganz recht«, erwiderte Orik und nickte Vermûnd zu, der sich wieder setzte. Leidenschaftslos und zügig schilderte Orik seiner Zuhörerschaft dann, was er Eragon bereits in der vergangenen Nacht erzählt hatte. Nämlich wie seine Untertanen in Dalgon ihm bestätigt hatten, dass die seltsamen schillernden Dolche vom Schmied Kiefna stammten, und wie sie die Zwergenfrau ausfindig gemacht hatten, die die Waffen gekauft und ihren Transport von Dalgon zu einer Stadt arrangiert hatte, die von den Az Sweldn rak Anhûin kontrolliert wurde.
Vermûnd stieß einen tiefen, knurrenden Fluch aus und sprang erneut auf. »Es ist nicht erwiesen, dass diese Dolche unsere Stadt jemals erreicht haben, und selbst wenn, lässt das keinerlei Rückschlüsse zu! In den Mauern unserer Städte halten sich Knurlan aus vielen Clans auf, genauso wie in der Festung Bregan zum Beispiel. Das beweist gar nichts. Hüte deine Zunge, Grimstborith Orik, denn du hast nichts in der Hand, was eine Anklage gegen meinen Clan rechtfertigen würde!«
»Ich war derselben Meinung wie du, Grimstborith Vermûnd«, gab Orik gelassen zurück. »Aus diesem Grund haben meine Magier und ich letzte Nacht den Weg der Meuchelmörder bis zu ihrem Ausgangsort zurückverfolgt. Im zwölften Stockwerk von Tronjheim konnten wir drei Knurlan gefangen nehmen, die sich in einem unbenutzten Lagerraum versteckt hielten. Wir konnten den Geist von zweien brechen und in Erfahrung bringen, dass sie den Attentätern Verpflegung und Obdach gewährt haben. Und«, sein Tonfall wurde drohend, »wir haben außerdem die Identität ihres Herrn aufgedeckt. Grimstborith Vermûnd, ich nenne dich einen Mörder und Eidbrecher! Ich nenne dich einen Feind des Dûrgrimst Ingietum und einen Verräter an unserem Volk, denn du und dein Clan waren es, die versucht haben, Eragon zu ermorden!«
Heilloses Chaos brach aus, als bis auf Orik und Vermûnd alle Clan-Oberhäupter losschrien, wild mit den Händen herumfuchtelten oder anderweitig versuchten, sich Gehör zu verschaffen. Eragon stand auf und lockerte das geliehene Schwert in der Scheide. Er zog es einen Fingerbreit heraus, damit er es schnell zücken konnte, falls Vermûnd oder einer seiner Zwerge den Moment nutzen und angreifen würden. Vermûnd rührte sich jedoch nicht, ebenso wenig wie Orik. Sie starrten sich nur an wie zwei konkurrierende Wölfe, ohne auf den Tumult zu achten.
Schließlich gelang es Gannel, die Ordnung wiederherzustellen. »Grimstborith Vermûnd, kannst du diese Vorwürfe entkräften?«
»Ich leugne sie mit jedem Knochen in meinem Leib«, erwiderte Vermûnd emotionslos, »und fordere meine Ankläger hiermit auf, ihre Anschuldigungen vor einen Wächter des Rechts zu bringen, und sie werden nicht standhalten.«
Gannel wandte sich an Orik. »Dann lege deine Beweise vor, Grimstborith Orik, damit wir über ihre Stichhaltigkeit urteilen können. Es sind fünf Wächter des Rechts anwesend, falls ich mich nicht irre.« Er deutete auf die Wand, an der fünf weißbärtige Zwerge standen und sich jetzt verbeugten. »Sie werden dafür sorgen, dass wir bei unseren Nachforschungen die Gesetze nicht verletzen. Sind alle damit einverstanden?«
»Ich bin einverstanden«, erklärte Ûndin.
»Ich bin einverstanden«, erklärte Hadfala und nach ihr alle anderen Clan-Oberhäupter. Nur Vermûnd schwieg.
Zuerst legte Orik das Rosshaararmband mit den Amethysten auf den Tisch. Die Clan-Oberhäupter befahlen den Magiern, es zu untersuchen. Sie verwarfen es einstimmig als nicht beweiskräftig.
Dann ließ Orik von einem Gehilfen einen Spiegel auf einem bronzenen Dreibein hereinbringen. Einer der Magier seines Gefolges wirkte einen Zauber und auf der schimmernden Oberfläche erschien das Abbild einer kleinen Kammer voller Bücher. Ein Moment verstrich, dann eilte ein Zwerg in die Kammer im Spiegel und verbeugte sich im Spiegel vor der Clan-Versammlung. Etwas außer Atem stellte er sich als Rimmar vor. Nachdem er in der alten Sprache einen Eid geschworen hatte, die Wahrheit zu sagen, erzählte er den Anwesenden, wie er und seine Gehilfen zu ihren Ergebnissen bezüglich der schimmernden Dolche der Attentäter gekommen waren.
Nachdem die Clan-Oberhäupter Rimmar ausführlich befragt hatten, ließ Orik von seinen Kriegern die drei gefangenen Zwerge hereinschaffen. Gannel befahl ihnen, ebenfalls den Wahrheitseid in der alten Sprache zu leisten. Sie verfluchten ihn, spien verächtlich aus und weigerten sich. Die Magier der verschiedenen Clans vereinigten ihren Geist, drangen in das Bewusstsein der Gefangenen ein und entrissen ihnen die Informationen, die die Clan-Versammlung benötigte. Die Magier bestätigten ausnahmslos Oriks Darstellung der Ereignisse.
Als Letztes rief der Grimstborith des Dûrgrimst Ingietum Eragon als Zeugen auf.
Eragon war nervös, als er vor die dreizehn Clan-Oberhäupter trat, die ihm mit grimmigen Mienen entgegenblickten. Er starrte auf einen Wirbel in der Maserung einer Marmorsäule auf der anderen Seite des Raumes und versuchte, sein Unbehagen zu unterdrücken. Er sprach den Eid, den einer der Zwergenmagier ihm vorsagte, und schilderte den Clan-Oberhäuptern dann ohne Umschweife, wie er und seine Wachen angegriffen worden waren. Anschließend beantwortete er die Fragen der Zwerge und erlaubte zwei Magiern, die Gannel willkürlich aus den Anwesenden auswählte, seine Erinnerungen an den Zwischenfall zu untersuchen. Als Eragon den Schutzwall um seinen Geist senkte, bemerkte er die Unruhe der Magier. Das tröstete ihn ein wenig. Gut, dachte er. Wenn sie mich fürchten, werden sie wohl kaum umherwandern, wo sie nichts zu suchen haben.
Zu Eragons Erleichterung verlief die Untersuchung ohne Zwischenfälle und die Magier bestätigten den Clan-Oberhäuptern seine Version der Ereignisse.
Gannel stand auf und wandte sich an die Wächter des Rechts. »Haben euch die Beweise überzeugt, die Grimstborith Orik und Eragon Schattentöter uns vorgelegt haben?«
Die fünf weißbärtigen Zwerge verbeugten sich. »Das haben sie, Grimstborith Gannel«, erwiderte der mittlere.
Gannel knurrte, offenbar nicht sonderlich überrascht. »Grimstborith Vermûnd, du bist verantwortlich für den Tod von Kvîstor, Sohn von Bauden, und hast außerdem versucht, einen Gast zu ermorden. Dadurch hast du Schande über unser ganzes Volk gebracht. Was hast du dazu zu sagen?«
Das Clan-Oberhaupt der Az Sweldn rak Anhûin presste seine flachen Hände so fest auf den Tisch, dass die Adern an seinen braun gebrannten Unterarmen hervortraten. »Wenn dieser Drachenreiter ein Knurla in allem außer im Blute ist, dann ist er kein Gast. Also steht es uns frei, mit ihm zu verfahren wie mit jedem unserer Feinde aus den anderen Clans.«
»Das ist doch absurd!«, platzte Orik heraus, der vor Empörung fast zitterte. »Du kannst nicht behaupten, dass er...«
»Mäßige deine Zunge, Orik!«, unterbrach ihn Gannel. »Geschrei kann diese Angelegenheit nicht klären. Orik, Nado, Íorûnn, bitte folgt mir.«
Unruhe begann an Eragon zu nagen, als die vier Zwerge sich entfernten, um sich einige Minuten mit den Wächtern des Rechts zu beraten. Sie werden Vermûnd doch wohl nicht wegen einer solchen Haarspalterei ungestraft davonkommen lassen!, dachte er.
»Die Wächter des Rechts«, sagte Íorûnn, nachdem die Zwerge an den Tisch zurückgekehrt waren, »sind sich einig. Obgleich Eragon ein vereidigtes Mitglied des Dûrgrimst Ingietum ist, ist er auch außerhalb unseres Reiches eine Persönlichkeit von höchstem Rang: Er ist Drachenreiter, er ist offizieller Gesandter der Varden, der von Nasuada hierher entsandt wurde, um der Krönung unseres nächsten Herrschers beizuwohnen, und er genießt als enger Freund von Königin Islanzadi großen Einfluss beim Elfenvolk. Aus diesen Gründen haben wir ihm dieselbe Gastfreundschaft entgegenzubringen wie jedem Botschafter, Prinzen, Monarchen oder anderem hohen Besuch.« Die Zwergenfrau sah zu Eragon hinüber und ließ den Blick ihrer dunklen, blitzenden Augen ungeniert über seinen Körper wandern. »Kurz gesagt, er ist unser Ehrengast und wir sollten ihn auch so behandeln... was jedem Knurla, der keinen Höhlenkoller hat, klar sein sollte.«
»Ja, er ist unser Gast«, presste Nado zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und zog dabei die Wangen ein, als hätte er gerade in einen unreifen Apfel gebissen.
»Was sagst du jetzt, Vermûnd?«, wollte Gannel wissen.
Der verschleierte Zwerg erhob sich und sah die Clan-Oberhäupter der Reihe nach an. »Ich sage Folgendes und hört mir gut zu, Grimstborithn: Wenn irgendein Clan es wagen sollte, wegen dieser verleumderischen Behauptungen seine Äxte gegen den Dûrgrimst Az Sweldn rak Anhûin zu erheben, werden wir das als einen kriegerischen Akt betrachten und entsprechend reagieren. Wenn ihr mich gefangen setzt, werden wir auch das als einen kriegerischen Akt betrachten und entsprechend reagieren.« Vermûnds Schleier zuckte, und Eragon vermutete, dass der Zwerg lächelte. »Wenn ihr uns in irgendeiner Weise angreift, ob mit Stahl oder Worten, ganz gleich wie sanft eure Rüge auch sein mag, betrachten wir das als einen kriegerischen Akt und reagieren entsprechend. Wenn ihr nicht wollt, dass unser Land in tausend blutige Fetzen zerrissen wird, schlage ich vor, ihr lasst die Worte des heutigen Morgens vom Wind verwehen und denkt stattdessen darüber nach, wer als Nächstes auf dem Granitthron sitzen und herrschen soll.«
Die Clan-Oberhäupter saßen lange schweigend da.
Eragon biss sich auf die Zunge, um sich davon abzuhalten, auf den Tisch zu springen und so lange über Vermûnd zu schimpfen, bis die Zwerge ihn endlich für seine Verbrechen aufknüpften. Er rief sich sein Versprechen gegenüber Orik ins Gedächtnis, bei der Clan-Versammlung seinem Beispiel zu folgen. Orik ist mein Clan-Oberhaupt, und ich muss ihn so antworten lassen, wie er es für angemessen hält.
Freowin löste die Hände von seinem mächtigen Bauch und schlug mit der fleischigen Pranke auf die Steinplatte. Sein heiserer Bariton schallte durch den ganzen Raum, obwohl er nur zu flüstern schien: »Du hast unser Volk entehrt, Vermûnd. Wir werden unsere Ehre als Knurlan verlieren, wenn wir deine Verbrechen dulden.«
Die ältliche Zwergin Hadfala schob ihre runenbekritzelten Seiten zusammen. »Was außer unserem Untergang wolltest du durch den Mord an Eragon erreichen? Selbst wenn die Varden Galbatorix ohne seine Hilfe besiegen könnten, was würde wohl der Drache Saphira aus Trauer über den Tod seines Reiters tun? Er würde über uns herfallen und Farthen Dûr in ein Meer aus Blut verwandeln.«
Vermûnd blieb stumm.
Gelächter platzte in die Stille. Weil es so unerwartet kam, erkannte Eragon zunächst nicht, dass es Orik war. Als er sich wieder beruhigt hatte, sagte der Grimstborith: »Wenn wir etwas gegen dich oder den Dûrgrimst Az Sweldn rak Anhûin unternehmen, betrachtest du das also als kriegerischen Akt, Vermûnd? Also gut, wir werden nichts gegen dich unternehmen. Gar nichts!«
Vermûnd zog die Brauen zusammen. »Und weshalb amüsiert dich das so?«
Orik lachte wieder. »Weil ich über etwas nachgedacht habe, was du übersehen hast, Vermûnd. Du willst, dass wir dich und deinen Clan in Ruhe lassen? Gut. Ich schlage der Clan-Versammlung hiermit vor, Vermûnds Wunsch nachzukommen. Hätte er aus eigenem Antrieb und nicht als Grimstborith gehandelt, würden wir ihn für seine Verbrechen bei Androhung der Todesstrafe verbannen. Lasst uns seinen Clan wie eine Person behandeln; verbannen wir die Az Sweldn rak Anhûin aus unseren Herzen und Köpfen, bis sie sich entschließen, Vermûnd durch einen gemäßigteren Grimstborith zu ersetzen, bis sie ihre Schandtaten vor der Clan-Versammlung eingestehen und Reue zeigen. Selbst wenn wir darauf tausend Jahre warten müssen.«
Die faltige Haut um Vermûnds Augen wurde blass. »Das wagst du nicht!«
Orik lächelte. »Ah, aber wir werden keinen Finger gegen dich oder deinen Clan erheben. Wir werden dich ignorieren und keinerlei Handel mit den Az Sweldn rak Anhûin treiben. Willst du uns etwa den Krieg erklären, weil wir nichts tun, Vermûnd? Denn falls die Grimstborithn meinen Vorschlag annehmen, tun wir genau das: Gar nichts. Willst du uns mit dem Schwert zwingen, euren Honig, euer Tuch oder eure Amethyste zu kaufen? Dafür hast du nicht genug Krieger.« Orik blickte in die Runde. »Was sagt ihr dazu?«
Die Clan-Versammlung brauchte nicht lange für ihre Entscheidung. Einer nach dem anderen standen die Clan-Oberhäupter auf und stimmten dafür, den Dûrgrimst Az Sweldn rak Anhûin zu verbannen. Selbst Nado, Gáldhiem und Havard - Vermûnds ehemalige Verbündete - unterstützten Oriks Vorschlag. Mit jeder abgegebenen Stimme wurde Vermûnds Gesicht blasser, bis er wie ein Geist in den Kleidern seines bisherigen Lebens wirkte.
Als die Abstimmung vorbei war, deutete Gannel auf die Tür. »Fort mit dir, Vargrimst Vermûnd. Verlasse noch heute Tronjheim. Keiner vom Clan der Az Sweldn rak Anhûin soll diese Versammlung stören, bis sie unsere Bedingungen erfüllt haben. Bis dahin werden wir jeden Az Sweldn rak Anhûin meiden. Aber wisse eines: Während dein Clan sich von seiner Schande reinwaschen kann, wirst du, Vermûnd, selbst im Tod ein Vargrimst bleiben. So lautet der Wille der Clan-Versammlung.« Nach dieser Erklärung setzte sich Gannel.
Vermûnd rührte sich nicht von der Stelle. Seine Schultern zitterten, Eragon konnte nicht erkennen, ob vor Wut oder Entsetzen. »Ihr seid es, die unser Volk entehrt und verraten habt!«, knurrte er. »Die Drachenreiter haben unseren Clan ausgelöscht, alle, bis auf Anhûin und ihre Leibwache. Glaubt ihr wirklich, wir könnten das vergessen? Oder verzeihen? Pah! Ich spucke auf die Gräber eurer Vorfahren. Wir haben wenigstens unseren Stolz nicht verloren. Wir werden nicht um diese Marionette der Elfen herumscharwenzeln, während unsere toten Familienangehörigen noch immer nach Vergeltung rufen!«
Grenzenlose Entrüstung packte Eragon, als die Clan-Oberhäupter schwiegen. Er wollte Vermûnd gerade einige harsche Worte entgegenschleudern, als Orik zu ihm blickte und fast unmerklich den Kopf schüttelte. Auch wenn es ihm schwerfiel, beherrschte Eragon seinen Zorn, fragte sich allerdings, warum Orik solch grässliche Beleidigungen unwidersprochen hinnahm.
Sie benehmen sich fast so, als... Oh!
Vermûnd schob seinen Stuhl zurück, stand auf, ballte die Fäuste und hob die Schultern. Er redete weiter, tobte, verhöhnte die Clan-Oberhäupter mit wachsender Leidenschaft, bis er aus voller Kehle schrie.
Doch wie niederträchtig seine Verwünschungen auch waren, die Clan-Oberhäupter zuckten mit keiner Wimper. Sie blickten in die Ferne, als brüteten sie über hochkomplexen Problemen, und ihre Blicke glitten über Vermûnd hinweg, als wäre er Luft. Als Vermûnd in seiner Raserei Hreidamars Kettenhemd packte, sprangen drei Wachen des Clan-Oberhauptes vor und zerrten ihn zurück. Dabei blieben ihre Mienen jedoch so ausdrucklos, als würden sie Hreidamar lediglich helfen, seinen Kettenpanzer zu glätten. Kaum hatten sie Vermûnd weggezogen, ließen sie ihn los und würdigten ihn keines weiteren Blickes.
Es überlief Eragon eiskalt. Die Zwerge benahmen sich, als hätte Vermûnd aufgehört zu existieren. Das bedeutet es also, wenn man bei den Zwergen verbannt wird, dachte er. Er wäre lieber tot, als ein solches Schicksal ertragen zu müssen, und für einen Moment empfand er fast Mitleid mit Vermûnd, das jedoch sogleich verflog, als er sich an den Todeskampf Kvîstors erinnerte.
Mit einem letzten Fluch stürmte Vermûnd hinaus, dicht gefolgt von Mitgliedern seines Clans, die ihn auf das Treffen begleitet hatten.
Die Stimmung unter den Clan-Oberhäuptern besserte sich, sobald die Türen hinter Vermûnd ins Schloss gefallen waren. Sie sahen sich offen an und berieten lautstark, was sie jetzt bezüglich der Az Sweldn rak Anhûin unternehmen sollten.
Schließlich schlug Orik mit dem Knauf seines Schwertes auf den Tisch, und alle wandten sich ihm zu, um zu hören, was er zu sagen hatte.
»Nachdem wir die Sache mit Vermûnd erledigt haben, sollte sich die Clan-Versammlung noch einem anderen Punkt widmen. Wir haben uns hier versammelt, um Hrothgars Nachfolger zu wählen. Wir alle hatten viel dazu zu sagen, aber ich glaube, die Zeit ist reif, Taten sprechen zu lassen. Daher frage ich die Versammlung, ob wir bereit sind - und meiner Meinung nach sind wir mehr als bereit -, in drei Tagen zur endgültigen Wahl zu schreiten, wie unser Gesetz es vorschreibt. Ich selbst stimme mit Ja.«
Freowin sah Hadfala an, die wiederum Gannel anblickte, der zu Manndrâth schaute, der an seiner tropfenden Nase zupfte und Nado musterte. Der Grimstborith hockte zusammengesunken auf seinem Stuhl und kaute auf der Innenseite seiner Wange.
»Ja«, ergriff Íorûnn die Initiative.
»Ja«, folgte Ûndin.
»... Ja«, sagte schließlich auch Nado, und auch die restlichen acht Clan-Oberhäupter stimmten dafür.
 
Als sich die Clan-Versammlung Stunden später bis nach dem Mittagessen vertagte, kehrten Orik und Eragon in die Gemächer des Grimstborith zurück, um dort ihr Mahl einzunehmen. Keiner der beiden sagte ein Wort, bis sie die vor Lauschern geschützten Gemächer erreicht hatten. Dann lächelte Eragon. »Du hattest die ganze Zeit vor, den Clan der Az Sweldn rak Anhûin zu verbannen, stimmt’s?«
Orik lächelte zufrieden und klopfte sich auf den Bauch. »Allerdings. Es war die einzige Maßnahme, die ich ergreifen konnte, ohne zwangsläufig einen Clan-Krieg heraufzubeschwören. Zu dem es natürlich nach wie vor kommen kann, aber dann ist es nicht unsere Schuld. Allerdings bezweifle ich das. Sosehr sie dich auch hassen, die meisten Angehörigen von Az Sweldn rak Anhûin dürften entsetzt darüber sein, was Vermûnd in ihrem Namen verbrochen hat. Er wird nicht mehr lange Grimstborith sein, glaube ich.«
»Und jetzt hast du auch noch dafür gesorgt, dass endlich die Wahl des neuen Königs...«
»...oder der Königin...«
»...oder der neuen Königin stattfinden kann.« Eragon zögerte, weil er Oriks Freude über seinen Triumph nicht trüben wollte. »Hast du wirklich die ausreichende Unterstützung, um den Thron zu besteigen?«, fragte er schließlich dennoch.
Orik zuckte mit den Schultern. »Vor heute Morgen hatte niemand genug Unterstützung. Jetzt hat sich die Waagschale jedoch geneigt und im Moment liegen die Sympathien der meisten Clans bei uns. Wir sollten das Eisen schmieden, solange es heiß ist; eine bessere Gelegenheit wird sich uns nicht mehr bieten. Und wir können keinesfalls zulassen, dass sich diese Clan-Versammlung noch länger hinzieht. Wenn du nicht bald zu den Varden zurückkehrst, ist vielleicht alles verloren.«
»Was machen wir bis zur Wahl?«
»Erst einmal feiern wir unseren Erfolg mit einem Fest«, erklärte Orik. »Und wenn wir gesättigt sind, machen wir so weiter wie bisher: Wir versuchen, Stimmen zu gewinnen und jene zu behalten, die uns bereits gehören.« Oriks Zähne blitzten unter seinem Bart, als er lächelte. »Aber bevor wir auch nur einen einzigen Schluck Met trinken, musst du dich um etwas kümmern, was du vollkommen vergessen zu haben scheinst.«
»Was denn?« Oriks offensichtliches Vergnügen verwirrte Eragon.
»Du musst natürlich Saphira nach Tronjheim rufen! Ob ich nun König werde oder nicht, wir werden in drei Tagen auf jeden Fall einen neuen Herrscher krönen. Wenn Saphira an der Zeremonie teilnehmen soll, muss sie sich ziemlich beeilen, um noch rechtzeitig einzutreffen.«
Mit einem stummen Aufschrei rannte Eragon los, auf der Suche nach einem Spiegel.

 

 

Die Weisheit des Feuers
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